Drei Salzburger - Betriebsrat des darstellenden künstlerischen Personals der Wiener Staatsoper

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Drei Salzburger Sommer mit Intendant Alexander Pereira
Rampensingen und Händeringen
Peter Hagmann  27.8.2014

Nach drei Sommern geht das Wirken Alexander Pereiras bei den Salzburger Festspielen vorzeitig zu Ende. Als Vertreter von Quantität und Starkult war Pereira die falsche Wahl für dieses bedeutende Festival.
Jetzt ist Schluss, vorzeitig. Drei Jahre währte die Intendanz Alexander Pereiras bei den Salzburger Festspielen, so kurz wie keine zuvor. Die Gründe dafür sind bekannt. Pereira, so wird es dargestellt, hatte die Einladung erhalten, als Nachfolger von Stéphane Lissner, der an die Oper Paris berufen worden war, die Intendanz der Mailänder Scala anzutreten. Mit diesem Angebot in der Hand forderte er das Kuratorium der Salzburger Festspiele auf, seinen bis 2017 laufenden Vertrag zu verlängern – was ihm abgeschlagen wurde. Darum zieht Pereira auf den 1. September 2014 nach Mailand, allerdings vorläufig nur für ein gutes Jahr. Nach einem umstrittenen Verkauf von Inszenierungen aus dem Salzburger Fundus an die Scala, grob gesagt: von Pereira an Pereira, hat der Mailänder Verwaltungsrat dem designierten Intendanten in einer aufsehenerregenden Aktion den Vertrag gekürzt und die Kompetenzen beschnitten.
Ästhetik der Beliebigkeit
Vor sich, in Mailand, hat Pereira die Unsicherheit; hinter sich, in Salzburg, einen Scherbenhaufen. Zwar ist die in Schieflage geratene Kasse dank dem Zustupf aus Mailand wieder in Ordnung. Die Reserven aus den Jahren mit dem Intendanten Jürgen Flimm sind jedoch aufgebraucht; wenn Markus Hinterhäuser 2017 ans Salzburger Steuer tritt, muss er bei null anfangen – nachdem er als Konzertdirektor von 2007 bis 2011 und als Interimsintendant 2012 jeden Sommer mit einem substanziellen Beitrag zur finanziellen Gesundheit des Unternehmens beigetragen hat. Immerhin ist auf nächstes Jahr eine Erhöhung der seit 1998 so gut wie unveränderten Subventionen vorgesehen. Aber für Helga Rabl-Stadler, Präsidentin und Kaufmännische Leiterin in einer Person, wie für den Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf, der in den Jahren 2015 und 2016 den Titel des künstlerischen Leiters trägt, heisst es jetzt gleichwohl: sparen und zurückfahren.
Pereira hatte dem Festival einen prononcierten Expansionskurs auferlegt. Mit einer «Ouverture spirituelle» wurde den fünf Wochen, die das Salzburger Programm lange Zeit abgedeckt hat, eine weitere Woche hinzugefügt. Zudem hatte sich Pereira vorgenommen, jedes Jahr fünf neue Produktionen zu zeigen, darunter jeweils eine Uraufführung; Wiederaufnahmen waren ihm verpönt. Von den angekündigten Uraufführungen ist mit «Charlotte Salomon» von Marc-André Dalbavie eine einzige zustande gekommen. Und der Versuch, in gedrängter Zeit fünf Opern neu herauszubringen, hat – ähnlich, wie es am Opernhaus Zürich unter Pereira der Fall war – zu einer Überhitzung des Betriebs und zu Einbussen in der künstlerischen Sorgfalt geführt. Vom nächsten Sommer an soll es darum nurmehr drei Neuinszenierungen und drei Wiederaufnahmen geben, zudem soll die Zahl der Veranstaltungen und somit jene der angebotenen Karten reduziert werden. Alles vernünftig, ja notwendig, für das Image aber nicht unbedingt von Vorteil.
Noch schädlicher ist freilich der auf der ganzen Linie spürbare Substanzverlust im Künstlerischen. Wie in Zürich, nur noch ausgeprägter, setzte Pereira auf Zahlen und Namen – auf die schiere Quantität im Angebot und die Anwesenheit von Stars, beides im Interesse der Mittelbeschaffung und der Geldflüsse. Konzeptionelles, Dramaturgisches, mithin Fragen der künstlerischen Idee oder der Aussage, das stand klar im Hintergrund. Kein Wunder, dass Pereira die Festspiele als Alleinherrscher führte, dass er für ihre Konzeption keine Gesprächspartner brauchen konnte. Die Dramaturgie wurde deshalb kurzerhand dem Marketing unterstellt – was eine krasse Fehleinschätzung dramaturgischer Arbeit, nämlich innerbetrieblicher Kritik, bedeutet. Und nicht weiter erstaunlich, dass es 2012 eine «Zauberflöte» in der Felsenreitschule gab, wo die alten Instrumente des Concentus Musicus Wien kaum zu hören waren. Im Anschluss daran brachte der Sommer 2012 dann noch die Oper «Das Labyrinth» (1798) von Peter von Winter, welche die «Zauberflöte» auf musikalisch unsäglichem Niveau fortzuschreiben versucht.
Schwierig auch die Fokussierung auf die grossen Namen, weil es das Risiko des Scheiterns birgt, auch jenes der Scheinhaftigkeit. Einen Hype erster Güte sollte diesen Sommer die Produktion von Verdis «Trovatore» darstellen, für die neben Anna Netrebko als Leonora der Tenor Placido Domingo in der für ihn ungewohnten Bariton-Partie des Grafen Luna auf die Bühne gebeten wurde. Schon an der Premiere hoffnungslos überfordert, sagte Domingo nach wenigen Vorstellungen aus gesundheitlichen Gründen ab – der Starrummel hatte seinen voraussehbaren Kratzer empfangen. Auch Anja Harteros, eine der gefragtesten Sopranistinnen jüngerer Generation, hielt nicht, was ihre Bekanntheit versprach; ihr Liederabend geriet technisch ungenügend. Und unter den Dirigenten glänzte der weitherum beliebte Christoph Eschenbach als Einspringer für Franz Welser-Möst, der das Projekt einer neuerlichen Da-Ponte-Trilogie im Zorn verlassen hatte; was er im «Don Giovanni» bot, entsprach jedoch einem einschläfernden Mozart-Bild von vorgestern.
Noch krasser die Differenz zwischen Schein und Sein bei den Regisseuren – wobei hier immerhin, wenn auch ex negativo, so etwas wie eine Ästhetik zu erkennen war. Im grossen Ganzen war in den drei Sommern eine Art Familie rund um Pereira versammelt. Zu ihrem innersten Kreis gehörten Sven-Eric Bechtolf, der dieses Jahr mit einem besonders mittelmässigen «Don Giovanni» aufgefallen ist, Alvis Hermanis, der offensiv für die reine Bebilderung eintritt, und Damiano Michieletto, dessen Inszenierungen auf Slapstick und Unterhaltung nach der Art einer bunten TV-Show zielen. In allen Fällen blieb das Musiktheater als Theater unterbelichtet, weil die Figuren nicht ausgearbeitet waren und somit kein Profil gewannen; stattdessen lebten Rampensingen und Händeringen von ehedem wieder auf. Besonders armselig erschien da der grosse Peter Stein, der diesen Sommer Franz Schuberts selten gespielte Oper «Fierrabras» inszenierte – oder zu inszenieren vorgab. Ferdinand Wögerbauer hatte Bildmaterial aus alten Zeiten in Schwarz-Weiss auf Vorhänge auftragen lassen, die nach der Art des Barocktheaters räumliche Illusion schufen; das war schön anzuschauen, desavouierte aber das Stück als Ausdruck veralteter Ritterromantik – zumal die Sänger in dieser Dekoration hilflos herumstanden. Oper war das nicht, vielmehr eine quasi konzertante Aufführung – immerhin auf jenem hohen Niveau, für das der Dirigent Ingo Metzmacher garantierte.
Lichter im Nebel
Im Versuch, Tendenzen herauszuarbeiten, neigt der summarische Überblick natürlich zu Vergröberung und Einseitigkeit. Dennoch muss man sagen: Was das Musiktheater betrifft, das bei den Salzburger Festspielen im Vordergrund steht, herrschte unter Alexander Pereira die reine Restauration; wenn man an den Aufbruch mit Gerard Mortier und Hans Landesmann in den 1990er Jahren denkt, hat das seine schmerzliche Seite. Dennoch gab es auch diesen Sommer einzigartige Momente, bemerkenswerterweise gerade in dem als Ganzes beliebig wirkenden Konzertprogramm. Den Liederabend mit dem grossartigen Ausdruckssänger Christian Gerhaher zum Beispiel. Oder, dies ganz besonders, den Auftritt des Philharmonia Orchestra London mit seinem charismatischen Chefdirigenten Esa-Pekka Salonen. Die Tondichtung «Don Quixote» von Richard Strauss, die Orchesterstücke op. 6 von Alban Berg und «La Valse» von Maurice Ravel fügten sich zu einem Fest denkbar glanzvoller Orchesterkultur und ebenso intelligenter wie sinnlich ausstrahlender Interpretation.
Daran wird Markus Hinterhäuser 2017 anschliessen. Denn eines ist klar: Die Salzburger Festspiele müssen wieder das wichtigste und das beste Festival der Welt werden. Das wichtigste und das beste neben dem Lucerne Festival.

(mehr dazu: http://www.nzz.ch/feuilleton/rampensingen-und-haenderingen-1.18371395)

 
 
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